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Autor: |
Zimpel, André Frank; Beckmann, Wiebke; Janssen, Hayo; Roesnick, Thomas; Leito, Andrea; Hillig, Nicole |
Titel: |
Die Kybernetik der Aufmerksamkeit - Rekursion, Wiederholung und Auffälligkeit als entwicklungstheoretische und diagnostische Voraussetzungen einer basalen Didaktik. |
Jahr: |
2004 |
Herausgeber: |
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Zusatz/Reihe: |
Forschende Institution: Universität Hamburg, FAk. für Bildungswissenschaften, Institut für Behindertenpädagogik. |
Ort: |
o.E. |
Verlag: |
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Band: |
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Schlüsselwörter: |
Aufmerksamkeit; kognitive Entwicklung |
Abstract:
Problemlage: 1. Die Rekursion als Voraussetzung für die Wiederholbarkeit von Handlungen: Bei verschiedenen motorischen und sensorischen Beeinträchtigungen (Gehörlosigkeit, Blindheit, schweren Spasmen und Paresen) ist die Bedeutung der Rekursion für die geistige Entwicklung bekannt und wird mittlerweile kaum noch bestritten. Der zunehmend selbstverständlichere Einsatz von Gebärdensprache, Braille-Schrift und unterstützter Kommunikation tragen ihrer Bedeutung Rechnung. Der Umkehrschluss, Ursachen für eine verhinderte geistige Entwicklung im Fehlen von Möglichkeiten zur Rekursion zu suchen, ist dagegen eher die Ausnahme. In ersten Studien zur Unterrichtung von nicht sprechenden aber hörenden Kindern in DGS konnten wir die Fruchtbarkeit dieses Umkehrschlusses bereits belegen (Zimpel, Beckmann, Hoffmann 2003). Ziel weiterer Untersuchungen wird es sein, den didaktischen Ansatz der Rekursion theoretisch und praktisch auf dem Gebiet des Lernens, Bildens und der kognitiven Entwicklung formal in mathematischen Modellen und praktisch in experimentellen Studien beim Lernen unter den Bedingungen verschiedener, die geistige Entwicklung beeinflussender Syndrome (Epilepsie, Narkolepsie, ADHD, Tourette-Syndrom, Autismus, Trisomie 21 usw.) weiterzuentwickeln. 2. Die freiwillige Wiederholung von Handlungen und die Stabilisierung der Aufmerksamkeit: Die Untersuchungen von Maria Montessori und Kurt Lewin zeigen, dass die sprichwörtliche Unstetigkeit der Aufmerksamkeit selbst bei kleinen Kindern mit der Diagnose einer geistigen Behinderung ein Mythos ist, der sich leicht widerlegen lässt, wenn das geeignete Material bereitgestellt wird. Die Suche nach geeignetem Material und die Bewertung seiner Bedeutung für die geistige Entwicklung ist eine immense didaktische Herausforderung. Der Kybernetik der Aufmerksamkeit (Zimpel 2001) kommt hierbei eine Schlüsselfunktion zu. Ziel der theoretischen und praktischen Forschung ist eine Anwendung der nichtlinearen Äquilibrationstheorien von Jean Piaget und Heinz von Foerster auf Fragen der Stabilisierung der Aufmerksamkeit. 3. Kognitive Konversivität und Diversivität: Die feldtheoretischen Untersuchungen Kurt Lewins zum Sättigungpunkt und Ersatzwert bei Kindern mit der Diagnose einer geistigen Behinderung im Vergleich zu gleichaltrigen nichtbehinderten Kindern bilden den Ausgangspunkt der empirischen Handlungsforschung zur Emergenz des Neuen beim Bilden, Lernen und der geistigen Entwicklung in diesem Forschungsprojekt. Die Übersetzung von Lew Wygotskis Kritik an der fehlenden Berücksichtigung der Motive und Zeichenebenen in Lewins Untersuchungsmethodik aus dem Russischen bildet den ersten Schwerpunkt der Weiterentwicklung (Zimpel 2001). Ein zweiter Schwerpunkt ist die logische Analyse von dynamischen Konfliktsituationen in Vektormodellen. Lewin untersuchte hier vor allem Sowohl-als-auch- und Entweder-oder-Konflikte. Die zentrale Bedeutung von Weder-noch-Dilemmata für die geistige Entwicklung wurde von ihm jedoch nicht in dem vollen Maße wie von Jean Piaget und Heinz von Foerster erkannt. Hier setzt die Weiterentwicklung und Formlisierung der Forschungsmethodik an. Spieltheoretische, mathematische und logische Modelle und Simulationen sollen hier eingesetzt werden, um die didaktische Relevanz spezieller Lernsituationen genauer erfassen zu können und experimentell zu erproben. 4. Zeichensysteme und Auffälligkeit: In seinem Text "Objects: Tokens for (Eigen-) Behavior" entwickelt Heinz von Foerster (2003) Piagets Konzept der sensumotorischen Zirkulärreaktion, der Objektpermanenz und der Äquilibration von Störungen sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht weiter. Wenn Objekte als Zeichen für Eigenverhalten angesehen werden können, hat das auch Konsequenzen für von Objekten unterscheidbaren Zeichensystemen wie Symbol-, Sprach-, Bild- und Schriftzeichensysteme. Diese Systeme weisen eine gewisse hierarchische Affinität zu Piagets Phasen der kognitiven Entwicklung auf.VORGEHENSWEISE: Ein zentrales forschungsmethodische Vorgehen ist die Gegenstandsanalyse. Sie greift neben Piagets Konzept der Zirkulärreaktionen und Lewins axiomatischer Feldtheorie auch die experimentellen Anregungen von Wygotski, Piaget und Heinz von Foerster auf und umfasst nach dem derzeitigen Stand die folgenden Schritte: A.) Ausgangserhebung für eine Einzelperson: 1. Welche Handlung besitzt einen ausgeprägten Eigenwert? 2. Durch welche Maßnahmen lässt sich der Sättigungswert hinausschieben? (2. und 3. entfällt selbstredend bei fremd und selbst verletzendem Verhalten!) 3. Auf welcher Zeichenebene befinden sich diese Maßnahmen? 4. Besitzen Maßnahmen auf dieser Zeichenebene in der Gegenprobe einen Ersatzwert? 5. Welche inneren Konflikte lassen sich über eine Gegenstandsanalyse ermitteln? Analog für eine Gruppe: 1. Welche gemeinsamen Spiele besitzen in der Gruppe einen ausgeprägten Eigenwert? 2. Durch welche Maßnahmen lässt sich der Sättigungspunkt des Spiels hinausschieben? 3. Auf welcher Zeichenebene befinden sich diese Maßnahmen? 4. Besitzen Maßnahmen auf dieser Zeichenebene in der Gegenprobe einen Ersatzwert? 5. Welche inneren Konflikte lassen sich über eine Gegenstandsanalyse ermitteln? B.) Gegenstandsanalyse: 1. Rehistorisierung des Zeichensystems: In welcher historischen Epoche ist das Zeichensystem entwickelt worden? 2. Analyse der verborgenen Motive: Welche inneren Konflikte liegen der Eigenlogik des Zeichensystems zu Grunde? 3. Welche spielerischen Formen des Umgangs mit diesen Zeichensystemen treten in der Ontogenese auf? 4. Welche inneren Konflikte lassen sich damit lösen? 5. Welches Zeichensystem befindet sich in der Zone der nächsten Entwicklung? C.) Pädagogisches Experiment: 1. Bereicherung des Spiels durch kulturhistorische Komponenten, um den Sättigungspunkt aufzuschieben. 2. Suche nach Spielideen mit Ersatzwert. 3. Schaffung von Situationen, in denen der innere Konflikt des Zeichensystems zu Tage tritt. 4. Suche nach geeigneten Handlungen, in denen sich der Konflikt löst. 5. Entfaltung des Zeichensystems für diese Handlungen, mit diesen Handlungen und in ihnen, so dass sie einen Eigenraum bilden.